Verena Schirz-Jahn – Jenseits der Natur

Eine erste Begegnung mit dem Werk von Verena Schirz-Jahn ließ mich auf zwei kleine Leinwände blicken, Rechtecke, auf denen farbige Quadrate in horizontaler wie vertikaler Ausrichtung zu sehen waren. Die Farben Pink auf der einen, dann Türkisgrün auf der anderen, benachbart zu mit Schwarz abgemischten Feldern, vermieden den stärksten Kontrast ohne die Strahlkraft der Farbe zu mindern.
 
„Jede Assoziation an eine Landschaft versuche ich zu unterlaufen“, dieses Statement zur eigenen Arbeit wiederholt Verena Schirz-Jahn mehrfach im Gespräch. Die Farbe in Rechtecke, in kantige Formen zu zwingen erscheint da als naheliegendes Mittel, raumwirksame Staffelungen und Übergänge zu meiden. Trotzdem erklärt die Künstlerin ihr ungebrochenes Interesse, Raumerfahrung mittels Farbe hervorzurufen.
 
Quadrate auf rechteckigem Bildträger, Rechtecke in vertikaler, horizontaler Ordnung und in serieller Folge auf Leinwänden, Streifenbilder - horizontal - vertikal- und einander zugeordnete Dreiecke, die rechteckige Malgründe füllen, sind das geometrische Vokabular, mit dem die Künstlerin gestaltet. Auffallend ist, dass das gewählte Format des Rechtecks oder Dreiecks Wiederholungen erfährt und nicht etwa auf de Bildträger in den Größen variiert wird. Allein diese Formfestlegung farbiger Felder unterstützt den Eindruck einer Versuchsanordnung, schafft eine das Abbild verweigernde Abstraktion.
 
Weitere Ausdrucksmittel sind deckende Farben und transparenter Farbauftrag. Die Flächenbegrenzungen auf dem Bildträger sind trotz unterlegten Vorzeichnungen einmal frei gezogen, dann durch Abkleben jeder händischen Spur enthoben. Die zueinander komponierten Farbfelder, quadratisch, recht- oder dreieckig zeigen in ihrer eigenen Fläche keinen persönlichen Malduktus, der vom Gestus Verena Schirz-Jahns vor der Leinwand kündet. lhre Werke nähern sich damit den Merkmalen, die wir gewöhnlich der konkreten Kunst zuordnen.
 
Was der rein intellektuellen Auffassung ihres Ausdrucks entgegenzustehen scheint, ist die Farbwahl. lhre gewählten Farbwerte schlagen eher synthetische Töne an und sind augenfällig nicht der Natur zuzuordnen. Es sind industriell gefertigte Farben auf Acrylbasis, in eigenen Mischungen und Brechungen, die in der Ermangelung einer Handschrift beim Farbauftrag Künstlichkeit betonen. Die Assoziation eines Swimmingpools angesichts eines horizontalen Farbbandes stieß auf ein amüsiertes Echo beider Künstlerin.
 
Das Verorten von Farbklängen in gesellschaftlich definierten Bedeutungszusammenhängen wie etwa der konkreten oder auch konstruktivistischen Kunst oder, außerhalb des Kunstkanons, in Konventionen der Kleidungsfarben, so bevorzugt z. B. ein Teil des Kunstpublikums Schwarz, und in Lebensräumen wie dem eines Swimmingpools evoziert eine Erwartungshaltung, die Verena Schirz-Jahn, ebenso wie die Assoziation eines natürlichen Raums, nicht zu bedienen trachtet. Trotzdem vermittelt ihr Ausdruck in meinem Empfinden keine unpersönliche Versuchsanordnung im Erproben einer potentiell unendlichen Reihe von Mischungsverhältnissen. Gerade deshalb provoziert ihre Farbwahl einen Spannungsaufbau, der im Kontext mit den Strukturen ihrer Werke, den Betrachter vor Entscheidungen stellt.
 
Die Neigung des Auges, Verbindungen herzustellen, und die Gehirnleistung das Gesehene an Bekanntes anknüpfen zu wollen, verhindern, dass der künstlerische Ausdruck als rein ungegenständlich erkannt wird.
 
Die bei Hermann Bachmann an der Universität der Künste ausgebildete Malerin hat sich erst nach Jahren der künstlerischen Erfahrung zu ihrem heute reduzierten, wenn nicht minimalistischen Vokabular hin entwickelt. lhre frühe figürliche und Landschaftsmalerei lassen einen Duktus erkennen, der sie in die Tradition eines, bauenden Malens' stellt, das traditionell von Paul Cezanne und dem Kubismus abgeleitet wird. Und tatsächlich gibt es eine Phase zwischen ihrem frühen Realismus und der Struktur ihres heutigen Werks, die sich als gleichgewichtige Konstruktionen von Abbild und Rayonismus bezeichnen lässt in dieser Phase überschreitet die Farbwahl bereits die vorherige Anlehnung an Farben der Natur. Bemerkenswert ist an dieser Entwicklung auch die sich abzeichnende Wandlung von einer gedämpften, dunklen Farbwahl hin zu einer durchlichteten, farbkräftigen Malerei.
 
Die Entscheidung der Künstlerin, mit reduzierten Mitteln und Formen die Malerei zu er-forschen, erfolgte insoweit nicht als Bruch, sondern durch gewachsene Schlussfolgerung. lhre Versuchsreihen beginnen mit Studien auf Papier und einer intuitiv bestimmten Ausgangsposition, die sodann systematischen Eingriffen und Mischprozessen unterworfen wird. lhre Farbuntersuchungen beschreibt Verena Schirz-Jahn dennoch als offenes System, das dem Zufall Raum gibt. Sie überschreitet damit die Selbstdefinition konkreter Positionen in der Kunst.
 
Wie schon andere vor ihr, musste sie erkennen, dass ihr Publikum diesem Schritt nicht immer folgen konnte. Die Erwartung Wiedererkennbares sehen zu wollen, der Wunsch, anhand eines als ´richtig oder falsch' erkannten Abbildens mehr oder weniger schnell über die Qualität der Arbeit urteilen zu können, scheint eine entwicklungspsychologisch bedingte, erste Stufe des Betrachtens zu sein. Die Verortung im Erkennbaren muß zugunsten neuer Seherfahrung aufgegeben werden, will der Betrachter diesem ,freien' Kunstausdruck gerecht werden. Er muß sich selbst in Freiheit setzen und sich neu orientieren.
 
Das Werk von Verena Schirz-Jahn teilt dem Betrachter eine Rolle zu: die des aktiven Rezipienten. Das visuelle Abtasten der Farbtextur eines Werks setzt abgleichendes Sehen voraus und insofern eine Konzentration auf die eigene Wahrnehmung im Betrachten. Reine Wahrnehmung das Erforschen der Bildoberflächen je nach Standpunkt vor dem Werk oder der Reihen formierenden Werke und das Sehen der Wirkungen des wechselnden Lichteinfalls erfüllen die Lust am Sehen. Das Sich-Einlassen auf Farb- und Formfolgen, die Feststellung, dass das Werk Verena Schirz-Jahns die Härte klarer Kontraste vermeidet, führt uns in eine komponierte Welt, in der Klang und Zeit, rhythmische Gestaltung in einen Erfahrungsraum greifen, der uns enthebt.
 
Besonders fühlbar wird dies in Werken, die aus dem Kanon zu fallen scheinen: auf weißem Grund bündeln sich drei bis vier kurze Farbstriche zu kleinen Gruppen, die gleichsam schwebend zueinander stehen und die Weiße des Malgrundes in einen unendlichen Raum zu verwandeln scheinen, ein poetischer Aspekt im Werk der Künstlerin, der überrascht.
 
Um das angesprochene Spannungsfeld von reiner Farbmalerei und einer das Abbild wollenden Assoziation noch einmal aufleuchten zu lassen und es um den Aspekt der Transzendenz zu erweitern, lasse ich einen zeitgenössischen, veritablen Farbmaler und -forscher zu Wort kommen:
 
,,Mit der abstrakten Malerei schufen wir uns eine bessere Möglichkeit, das Unanschauliche, Unverständliche anzugehen, weil sie in direktester Anschaulichkeit, also mit allen Mitteln der Kunst ,nichts' schildert. Gewohnt etwas Reales auf Bildern zu erkennen, weigern wir uns mit Recht, nur Farbe (in aller Mannigfaltigkeit) als das Veranschaulichte anzusehen und lassen uns statt dessen darauf ein, das Unanschauliche zu sehen, das was vordem nie gesehen wurde und was nicht sichtbar ist. Das ist kein kunstvolles Spiel sondern Notwendigkeit; weil alles Unbekannte uns ängstigt und gleichzeitig hoffnungsvoll stimmt, nehmen wir die Bilder als Möglichkeit, das Unerklärliche vielleicht etwas erklärlicher, auf jeden Fall aber umgänglicher zu machen.“

 

(zitiert Gerhard Richter in: Kat. Documena Vll, Kassel 1982, S.84/85)

 

Annette Jahnhorst